Wenn der Streit zur Normalität wird, dann bewegt man sich wie auf Schienen, als sei die Richtung bereits vorgegeben, ohne die Chance auf einen Richtungswechsel. Wo zuvor romantische Momente den Weg frei zur Gestaltung lies, befindet man sich nun auf einem eingefahrenen Schienennetz, ohne die Möglichkeit ein Ziel zu erreichen.
Zum Zeitpunkt, wo der Streit zur Normalität geworden ist, befindet man sich grundsätzlich von Beginn an auf dem höchsten Level im Streit. Der Streit baut sich gar nicht mehr auf, sondern es wird direkt auf den eingefahrenen Schienen „weitergestritten“. Bei Streitigkeiten die sich nicht mehr aufbauen, sind Kränkungen, Beleidigungen und einige andere „Instrumente“ sofort „griffbereit“ um den Streit für sich zu gewinnen. Es geht nicht mehr darum zur ergründen, warum man sich streitet und um einen Ausstieg zu finden. In diesem Stadium der Streitkultur geht es ausschließlich darum, zu gewinnen und Recht zu bekommen. Die Verletzungen und Frustrationen aus den vorherigen Streitereien haben sich immer weiter aufgestaut, da sie nicht mehr aufgelöst werden.
Hier einmal ein Bericht durch ein Pärchen:
Nachdem das Mittagessen beendet war, welches Nadine für ihren Partner und deren gemeinsamen Kindern gekocht hatte, machte sich Nadine daran die Küche aufzuräumen. Michael setzte sich mit den Kindern auf das Sofa und alberte mit ihnen herum. (Die Namen habe ich selbstverständlich geändert)
Die Tochter hatte am Essen noch ein wenig auszusetzen und sagte, das Essen habe heute nicht so gut geschmeckt. Michael gab kurz und knapp die Antwort, dass er morgen wieder kochen könne.
Eine Situation, welche in vielen Haushalten passieren kann und in manchen für Gelächter sorgt. Doch Nadine schmeißt den Teller zu Boden, welcher dort zerschellt und schreit Michael an. „Typisch, du unterstützt mich nie. Du pickst dir immer nur die Rosinen heraus und lässt mich mit allem allein.“
Als Michael die Vorwürfe hört, platzt ihm der Kragen. „Ich mache hier mehr als genug. Wenn du mit allem überfordert bist, dann such dir Hilfe. Dein ständiges gemecker macht die ganze Familie kaputt.“
Der Streit hat sofort ein Level erreicht, wo beide auf einer Eskalationsstufe 7 bis 8 stehen. Dieser Streit ist im Prinzip die Weiterführung der vorangegangenen Streitigkeiten mit vielen Verletzungen und Kritisierungen.
Sie fühlte sich schon seit vielen Jahren nicht anerkannt und wertgeschätzt für das was sie tat und wenn dann noch Kritik dazu kam, brachte es das Fass zum überlaufen.
Als er sagte: „Morgen koche ich gern wieder!“ bestätigte sie das in ihrer Schlussfolgerung, dass sie egal, was sie machte, ihm doch nicht genüge.
Das Problem hierbei war, dass sie die Worte als Vorwurf aufgefasst hatte, was sicherlich vielen nicht ganz unbekannt ist.
Durch Vorwürfe erschafft man sich keine Brücken, sondern sorgt dafür, dass der Mensch gegenüber sich angegriffen fühlt und eine Mauer um sich aufbaut. Im weiteren Verlauf der stetigen Streitereien werden viele Worte nur noch als Vorwurf wahrgenommen.
Als Paarcoach ist es durch meine Erfahrung in der Regel so, dass hier etwas verstanden wurde, „was so nicht gesagt wurde“. Also fragte ich ihn, ob er noch weiß, was er gemeint hatte.
Wie eingebrannt konnte er noch genau sagen was er meinte und wie er sich gefühlt hatte: „Ich wollte meine Partnerin am nächsten Tag entlasten. Ich hatte keine Kraft mehr vom anstrengenden Tag, so dass ich ihr an diesem Tag nicht habe helfen können.“
Bei mir formulierte er seine Absicht so, dass es spürbar war, wie sehr er sich verstanden wissen möchte. Nadine brachte es zum Nachdenken und ein wenig zum Staunen.
Die Art und Weise der Kommunikation ist in solch einem Fall sehr wichtig. Spreche ich in der Sprache der Vorwürfe und Anklagen, oder ist mein Sinn eher, mit dem anderen Menschen in ein Gespräch zu kommen um beide Seiten verstehen zu können. Es braucht in der Kommunikation häufig „Brücken welche gebaut“ werden müssen.
Mike Grohmann, Bad Oeynhausen, 31. August 2001