Aus meinen Paarberatungen und meiner Erfahrung als Personal-Coach für Persönlichkeitsentwicklung habe ich festgestellt, dass es zwei Typen im Streit gibt. Einmal den introvertierten und den extrovertierten. Während der introvertierte Typ im Stillen alles mit sich allein ausmachen möchte, lässt der extrovertierte Typ seiner Gefühlswelt freien Lauf und haut raus was bedrückt.
Ein Pärchen kam zu mir und saß nun vor mir. Ein lesbisches Pärchen, wobei dies eher eine Nebenrolle spielt. Janina und Sarah (beide Namen von mir geändert). Sarah ist ein Mensch, welcher gern mit sich allein die Dinge ausmacht und weniger darüber spricht. Dennoch hat sie ihrer Lebensgefährtin gegenüber geäußert, dass sie sich nicht mehr wohl fühle und sie oft traurig sei.
Janina ist eine sehr eloquente und ausgeglichene Frau, was daran liegt, dass sie sich sofort Luft macht, wenn es bei ihr „am Kragen“ eng wird.
Sarah hat die Gefühlswelt von ihrer Lebensgefährtin auf die schwierige Beziehung zu den Eltern von Janina geschoben. Ebenso hatte Janina sehr oft Stress auf der Arbeit, da sie doppelt so viel leisten müsse, um nur halb so viel Anerkennung zu bekommen wie die Arbeitskollegen.
Janina hat niemals auch nur geahnt, dass es Sarah in der Beziehung nicht mehr gut geht.
„Sie hat mit mir Schluss gemacht.“ platzte es aus Janina heraus. Unter Tränen berichtete sie mir weiter, dass sie gar keine Chance hatte zu reagieren. Heute hätte Sarah keine Gefühle mehr für sie, von heute auf morgen, was doch gar nicht geht. Dieser Schlussstrich kam sehr plötzlich und es bedurfte „viel Bettelei“, dass Sarah überhaupt noch eine Chance in die Paartherapie setzte.
Durch die unterschiedlichen Streittypen gab es hier ein großes Missverständnis. Dadurch dass Janina eher jedem Streit durch Vermeidung aus dem Wege gehen wollte, hat sie die Signale nicht wahrgenommen. Ein Streit löst in manchen Menschen große Angst vor dem Verlust aus, dabei kann ein Streit auch etwas Positives bedeuten.
Doch viele Beziehungsprobleme kann man nicht mit sich allein ausmachen. Es ist ein Beziehungsproblem und zu einer Beziehung gehören nun einmal mind. zwei! Ohne eine Auseinandersetzung mit den Problemen weiß der Mensch gegenüber gar nicht, dass es ein Problem gibt. Wenn die Probleme nicht besprochen werden, kann man weder daran arbeiten, noch verstehen, warum die Lebenspartnerin / der Lebenspartner immer wieder Frust schiebt. Insbesondere staut sich immer mehr auf und es kann nichts abgebaut werden. Wenn man jeden Streit vermeiden möchte und deshalb nicht miteinander darüber spricht, kann man auch nicht zu einer gemeinsamen Lösung kommen.
Bei Sarah hat ein es zu der Entscheidung geführt, einen Schlussstrich zu ziehen, als Janina erneut „explodiert“ ist und wütend herumgeschrien hat. Sarah konnte und wollte sich dies alles nicht mehr antun und ist aus der Beziehung ausgestiegen.
Für Janina war es sehr plötzlich und überraschend und keineswegs nachvollziehbar. Manchmal ist es bereits so spät, wenn Paare zu mir kommen, dass die innere Gefühlswelt so sehr auf den Kopf gestellt ist, dass es keine Bereitschaft mehr gibt, sich wieder auf den anderen Menschen einzulassen.
Sarah brachte sich damit ein, dass sich die Wutausbrüche von Janina immer mehr gesteigert haben und heute eine „Qualität“ erreicht haben, welche sie sehr verletzten und sie nun sogar Angst habe.
Janina fühlte sich nicht gesehen und nicht ernst genommen, da das Gespräch nie wieder aufgenommen wurde, egal ob sie ruhig oder wütend darüber sprach. Die gefühlte Ohnmacht hat sie lauter und aggressiver werden lassen. So wurde es immer schwieriger die Streitigkeiten zu beenden und normal miteinander zu sprechen. Die Lautstärke und Aggression waren Hilfeschreie endlich gehört zu werden, gesehen zu werden. Manchmal ging es sogar schon so weit, dass Janina einen Streit einfach provozierte.
Das Gefühl der Ohnmacht konnte Janina „nur“ mit den Worten Unzufriedenheit und Wut ausdrücken. Sie hat häufig herablassend mit ihrer Lebensgefährtin gesprochen und ihrem Gefühl der Wut freien Lauf gelassen.
Sarah wusste zwar, dass es wieder etwas gab, was Janina über die Leber gelaufen ist, hat sich aber immer mehr in sich zurückgezogen um einen Streit zu vermeiden. Eine konstruktive Unterhaltung hatte es schon ewig nicht mehr gegeben und so konnten auch keine Lösungen erarbeitet werden.
Durch mich als Coach wurde nun erstmals deutlich, was sie beide nicht sehen konnten. Sie sind in der Streitkultur so unterschiedlich, dass sie mich als Dolmetscher benötigten um sich eine Lösung zu erarbeiten.
Für Sarah war das Ziel nun für sich selbst zu lernen, wie sie unbequeme Situationen ansprechen kann und sie nicht mehr in sich hinein zu fressen. Sie absolvierte ein Coaching im Bereich Persönlichkeitsentwicklung und hat sich nach kurzer Zeit dazu entschlossen, Janina eine Chance zu geben, da sie mit ihr zusammen eine Paartherapie bei mir machen wollte. Janina lernte in den Gesprächen „die Sprache“ von Sarah zu verstehen und gab ihr die Wertschätzung welche ihr so sehr gefehlt hatte. In einer Sitzung gab es dann den Funken, der Sarah im Herzen traf, womit sie sich wieder auf eine Beziehung einlassen konnte.
Auch wenn es zu Beginn so ausgesehen hatte, als wäre es zu spät, so konnte mit einiger Arbeit ein gemeinsamer Weg gestaltet werden.
Mike Grohmann, Paarcoach, Bad Oeynhausen, 28. November 2011